Ein gewisses Maß an Stress ist normal. Es ist sogar hilfreich, um Alltagsaufgaben zu bewältigen. Chronischer Stress dagegen kann Körper und Psyche beeinträchtigen. Prävention und Behandlung dieses typischen Problems unserer Zeit wird in der klassischen Medizin immer wichtiger. Das Behandlungskonzept ist ganzheitlich und interdisziplinär.
Stress ist nicht unbedingt etwas Negatives. Positiver Stress, auch Eustress genannt, kann sogar sehr belebend sein: Die Vorfreude auf eine neue, anspruchsvolle Aufgabe im Beruf oder der Nervenkitzel vor dem Start eines Wettkampfs können einen regelrecht beflügeln und zu Höchstleistungen antreiben.

Akuter und chronischer Stress
Bei negativem Stress, dem sogenannten Disstress, ist es jedoch anders. Dabei fühlen sich Menschen überfordert. Ein Beispiel hierfür ist, wenn kurz vor einer wichtigen Präsentation technische Probleme auftreten und man extrem unruhig wird. Dieser kurzzeitige Stress verschwindet jedoch sofort wieder, sobald die Aufgabe erledigt ist.
Anders verhält es sich, wenn Belastungen über einen längeren Zeitraum andauern und zur permanenten Überforderung führen. Dann ist der Körper dauerhaft in Alarmbereitschaft, was krankmachende Prozesse begünstigt und zu physischen sowie psychischen Gesundheitsproblemen führen kann. Das kann ebenfalls bei anhaltender Unterforderung passieren. Am wohlsten fühlen sich Menschen in einem Zustand zwischen Über- und Unterforderung.
Wenn der Körper Alarm schlägt
Stress versetzt den Körper in Alarmbereitschaft. Das Gehirn sendet innerhalb von Sekunden Signale über das Nervensystem an die Nebennieren. Diese schütten daraufhin vermehrt das Stresshormon Adrenalin in die Blutbahn aus. In der Folge schlägt das Herz schneller und stärker, die Muskeln werden stärker durchblutet, und die Aufmerksamkeit steigt.
Wenig später schütten die Nebennieren eine größere Menge des Hormons Kortisol aus. Kortisol sorgt unter anderem dafür, dass der Körper Energie freisetzt. Außerdem hilft es, Entscheidungen zu treffen. Körperfunktionen, die in Gefahrensituationen weniger wichtig sind, wie die Verdauung, werden wiederum heruntergefahren.
Dieser Mechanismus war für Steinzeitmenschen überlebenswichtig. Wenn sie auf gefährliche Trafen trafen mussten sie innerhalb von Sekunden entscheiden, ob sie besser fliehen oder kämpfen sollten. Heute muss niemand mehr wegrennen oder kämpfen. Allerdings ist unsere Umwelt komplexer denn je, und unser Organismus reagiert ständig darauf. Die Folge kann ein ungesunder Dauerstress sein, der Körper und Psyche beeinträchtigt.
Mögliche gesundheitliche Folgen
Bei Dauerstress geraten Körper und Psyche in ein gefährliches Ungleichgewicht. Es können schwere gesundheitliche Folgen auftreten, wie:
- Verdauungsbeschwerden
- Schlafstörungen
- Migräne
- erhöhtes Herzinfarkt-Risiko
- Bluthochdruck
- mehr Infektionen
- Burnout
- Depressionen
- Zyklus- und sexuelle Störungen

Eines der größten Gesundheitsrisiken
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) zählt Stress zu den größten Gesundheitsrisiken unserer Zeit. Mehr und mehr Menschen fühlen sich akut oder chronisch überfordert. Mögliche Auslöser für Stress, sogenannte Stressoren, sind beispielsweise Lerndruck, die Nutzung sozialer Medien, die Trennung vom Partner oder chronische Infektionen und Krankheiten. Auch eigene Ansprüche, negative Denkmuster sowie psychische und soziale Belastungen wie Versagensängste und Einsamkeit sind Risikofaktoren.
Insbesondere den Arbeitsalltag empfinden immer mehr Menschen als belastend. Laut einer repräsentativen Befragung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung nimmt der Stress in vielen Unternehmen kontinuierlich zu. Das DGUV Barometer Arbeitswelt 2025 zeigt, dass 51 % der Beschäftigten von höherem Zeitdruck und 43 % von einem gereizteren Betriebsklima berichten – und zwar branchenübergreifend. Laut der WHO kann langanhaltender Arbeitsstress unter anderem zu Burnout, chronischer Erschöpfung, Fehlzeiten und hoher Personalfluktuation führen.
Stressmedizin: Ganzheitlich und individuell
Jeder Mensch nimmt Stress anders wahr. Ideal ist es, Stress gar nicht erst entstehen zu lassen oder zu lernen, die eigenen Ressourcen zu stärken, um belastende Situationen besser bewältigen zu können. Hilfreich kann dabei die Stressmedizin sein.
Zentraler Baustein der Stressmedizin ist neben der Prävention die Aufklärung, Beratung und das Erkennen von Warnsignalen. Die Behandlung ist ganzheitlich und individuell auf die Patienten zugeschnitten. Neben Gesprächen und Fragebögen werden auch körperliche Untersuchungen durchgeführt. Gemeinsam mit dem Arzt wird ein Plan entwickelt, damit Patienten lernen, mit Belastungen gesünder umzugehen.
Bereits Entspannungstechniken wie autogenes Training oder Meditation können das Stressniveau senken. Auch regelmäßige Bewegung und Pausen bei der Arbeit fördern die Regeneration. Manche Patienten müssen gegebenenfalls ihren Beruf wechseln, eine Verhaltenstherapie machen oder Medikamente nehmen, zum Beispiel, um Depressionen zu behandeln.
Interdisziplinärer Ansatz
Ärzte wie Allgemeinmediziner oder Kardiologen, die sich auf „Stressmedizin” spezialisiert haben, arbeiten häufig mit Psychotherapeuten, Ernährungsberatern und/oder Sportmedizinern zusammen. Bisher ist Stressmedizin keine offizielle Zusatzbezeichnung im Sinne der Musterweiterbildungsordnung. Doch das Curriculum Stressmedizin der Bundesärztekammer soll Ärzten, Psychotherapeuten und Angehörigen anderer medizinischer Fachberufe eine wissenschaftlich orientierte und standardisierte Fortbildung in diesem Bereich anbieten.
Fortbildung der ÄKWL und der KVWL
Eine entsprechende Fortbildung zur Stressmedizin ist bei uns buchbar. Sie wird von der Akademie für medizinische Fortbildung der ÄKWL und der KVWL angeboten und vermittelt Kenntnisse und Fähigkeiten zur Diagnostik und Therapie von Stresserkrankungen. Die Fortbildung besteht aus zwei Präsenz-Terminen von 17 und 13 Unterrichtseinheiten und zwei eLearning-Phasen von 7 und 15 Unterrichtseinheiten. Der Kurs ist mit 74 CME-Punkten zertifiziert.

Beitrag von Lisa von Prondzinski
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