Die Sozialmedizin gewinnt an Bedeutung – und das aus gutem Grund. Denn die alternde Gesellschaft, die steigende Zahl chronischer Erkrankungen und immer komplexere sozialrechtliche Fragestellungen fordern von Ärzten heute mehr denn je sozialmedizinisches Know-how. Wer sich in diesem Bereich weiterbildet, erschließt sich neue berufliche Perspektiven, etwa als Gutachter bei Sozialleistungsträgern.
Im Kern beschäftigt sich die Sozialmedizin in Forschung, Lehre und Praxis mit den Wechselwirkungen zwischen Krankheit, Gesundheit, Individuum und Gesellschaft. Ihr Ziel ist es, die Gesundheit der Bevölkerung ganzheitlich zu fördern und zu schützen.
Dafür ist Teamarbeit gefragt, denn medizinische, soziologische, epidemiologische und ökonomische Aspekte – etwa die Kosten von Krankheit und Prävention – greifen dabei ineinander.

Soziale Faktoren als Risiko
Ob jemand gesund bleibt oder krank wird, hängt nicht nur von biologischen Voraussetzungen ab. Soziale, wirtschaftliche und Umweltfaktoren prägen die Gesundheit maßgeblich. So trägt jemand, der unter schwierigen Bedingungen aufwächst, ein höheres Risiko für gesundheitliche Probleme. Zahlreiche Studien belegen, dass sozial benachteiligte Menschen körperlich wie seelisch häufiger und schwerer erkranken als Menschen aus privilegierten Verhältnissen.
Gesundheitliche Ungleichheiten verringern
Die Sozialmedizin setzt sich dafür ein, gesundheitliche Chancengleichheit zu schaffen, Krankheiten vorzubeugen, Lebensqualität zu steigern und eine gerechte Versorgung sicherzustellen. Dabei geht es um Fragen wie:
- Wie beeinflusst die soziale Umwelt die Entstehung und Behandlung von Krankheiten?
- Wie gelingt Teilhabe am gesellschaftlichen und beruflichen Leben trotz Krankheit oder Behinderung?
- Wie können Prävention und Rehabilitation gezielt eingesetzt werden, um die Gesundheit der Bevölkerung zu erhalten oder zu verbessern?
- Und wie lassen sich Leistungen und Ressourcen im Gesundheitswesen fair verteilen?
Um diese Fragestellungen und Ziele herum arbeiten in der angewandten Sozialmedizin verschiedene Berufsgruppen Hand in Hand. Neben Ärzten unterstützen Sozialarbeiter, Ergo- und Psychotherapeuten sowie Fachkräfte von Sozialleistungsträgern die Patienten bestmöglich.
Sozialmedizinisches Denken
Eigentlich ist bei jeder ärztlichen Behandlung sozialmedizinisches Denken gefragt. Denn immer dann, wenn Ärzte nicht nur die Krankheit, sondern auch deren Auswirkungen auf das Leben der Patienten im Blick haben, handeln sie sozialmedizinisch. Beispielsweise muss ein Hausarzt individuell abwägen, ob eine Arbeitsunfähigkeit vorliegt und wie lange sie dauert. Klinikärzte planen gemeinsam mit dem Sozialdienst und den Angehörigen, die optimale Nachsorge für Demenzpatienten oder andere chronisch Kranke.
Je mehr sozialmedizinisches Know-how vorhanden ist, desto besser können Behandler die Lebenssituation ihrer Patienten erfassen und langfristige Perspektiven schaffen. Fortbildungen helfen, dieses Wissen gezielt auszubauen.
Gutachterliche Tätigkeiten
Besonders umfassende sozialmedizinische Kenntnisse besitzen Ärzte, die die Zusatzweiterbildung „Sozialmedizin“ abgeschlossen haben. Sie sind häufig im gutachterlichen Bereich tätig, etwa bei der Beurteilung von Leistungsfällen im Zusammenhang mit Krankheit, Behinderung oder Pflegebedürftigkeit. Zu ihren wichtigen Arbeitgebern zählen die Renten- und Unfallversicherungen sowie die Medizinischen Dienste der Kranken- und Pflegekassen. Auch der öffentliche Gesundheitsdienst bietet Einsatzmöglichkeiten sowie die Arbeitsagenturen.
Die Tätigkeit als Gutachter ist weit mehr als ein reiner Schreibtischjob. Oft gilt es Fachgespräche mit behandelnden Ärzten zu führen, selbst körperliche Untersuchungen durchzuführen oder Versicherte zu Hause aufzusuchen. So wird zum Beispiel entschieden, wie lange eine Arbeitsunfähigkeit besteht oder welche Rehabilitationsmaßnahmen sinnvoll sind.

Zusatz-Weiterbildung Sozialmedizin
Im Medizinstudium lernen angehende Ärzte (nur) die Grundlagen der Sozialmedizin. Wer sich spezialisieren möchte, absolviert nach der Approbation und Facharztausbildung die Zusatz-Weiterbildung Sozialmedizin. Die Weiterbildung selbst umfasst 320 Stunden Kursunterricht, die sich zu gleichen Teilen auf die Bereiche Sozialmedizin/Rehabilitationswesen und Sozialmedizin verteilen. In den Kursen werden unter anderem Themen wie sozialmedizinische Begutachtung, Prävention, Rehabilitation, rechtliche Grundlagen und das Sozialleistungssystem behandelt.
Die Inhalte sind als Empfehlung in der Musterweiterbildungsordnung der Bundesärztekammer festgelegt. Da die einzelnen Landesärztekammern davon abweichen können, ist es sinnvoll, sich direkt bei der zuständigen Landesärztekammer über die genauen Anforderungen zu informieren. Ergänzt wird der theoretische Teil durch eine zwölfmonatige praktische Weiterbildung bei einem befugten Sozialmediziner.
Wo gibt es qualifizierte Kurse?
Die erforderlichen Kursmodule können bei verschiedenen Anbietern gebucht werden: als Präsenzveranstaltung, Live-Webinar oder teilweise auch als eLearning. Zu den Anbietern zählen zum Beispiel die Ärztliche Akademie für medizinische Fort- und Weiterbildung in Nordrhein und die Akademie des Deutschen Ärzteverlages.
Für andere Heilberufe wie Medizinische Fachangestellte, Pflegekräfte oder Sozialarbeiter gibt es eigene sozialmedizinisch ausgerichtete Weiterbildungen. So können sich Pflegefachkräfte beispielsweise zur Fachkraft der Sozialmedizin qualifizieren, während im öffentlichen Gesundheitswesen die Weiterbildung zum Sozialmedizinischen Fachassistenten angeboten wird. Mit diesen zusätzlichen sozialmedizinischen Kompetenzen können sie Patienten noch umfassender beraten und unterstützen sowie gezielt an Maßnahmen der Prävention und Rehabilitation mitwirken.

Beitrag von Lisa von Prondzinski
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